Im Namen der Dose

»Hurra, hurra, die Austria ist da«, grölt Karl Atzmanstorfer. Im Rhythmus tönt ein Dutzend Trommeln und heizt die Gesänge an. Andere Fans der »Stierwascher« stimmen ein, einige zünden bengalische Feuer. — Von Daniel Hribar und Jon Mendrala

Der Fanclub-Tross ist auf dem Weg ins Stadion. Stolz werden violett-weiße Fahnen geschwenkt, die Farben der ruhmreichen Austria Salzburg: 1933 gegründet, dreifacher österreichischer Meister – unvergessen das Europapokalfinale gegen Inter Mailand 1994.

Doch heute wartet auf die Austria nicht Rapid Wien, der langjährige Rivale aus der Hauptstadt, und schon gar nicht Inter Mailand oder ein anderer Spitzenclub Europas. Stattdessen geht es zum Auswärtsspiel gegen Henndorf, 5000 Einwohner, eine Begegnung der vierten österreichischen Liga. Hier heißt es: Holztribüne statt VIP-Logen. Ein Provinz-Stadion, in dem es noch nach Schweiß riecht. Immerhin tausend Zuschauer werden erwartet, einer davon ist der 31-jährige Geologe Atzmanstorfer. Er und 900 weitere halten zum Tabellenführer Austria Salzburg, Jahresetat 300.000 Euro.

Seit 20 Jahren ist Atzmanstorfer ein »Violetter«, schreit sich jedes Wochenende für seinen Verein die Seele aus dem Leib. Doch der Club, den er heute nach Henndorf begleitet, trägt zwar den Namen, das Wappen und die Farben des Traditionsclubs Austria Salzburg, aber offiziell wurde der Verein erst im Jahre 2005 gegründet – von frustrierten Fans, die sich nicht damit abfinden wollten, dass ihre Austria übernommen und anschließend quasi ausgelöscht wurde. Lieber fingen sie noch einmal ganz von unten an, mit einer »neuen« Austria, in der untersten, der siebten Spielklasse.

Die »alte« Austria war ein idealer Übernahmekandidat: Zwar spielte der Verein in der höchsten Spielklasse, aber er war hochverschuldet. Auch sportlich lief es schlecht; der SV dümpelte im Tabellenkeller herum, nur noch 4000 Zuschauer kamen zu Heimspielen. Dann erschien Red Bull auf der Bildfläche – und nichts blieb, wie es war. Im Sommer 2005 stieg der Getränkekonzern bei der Austria ein und vollzog, was im traditionsbewussten Fußballsport bislang ohne Beispiel ist: Am Ende war vom ursprünglichen Verein nicht viel mehr übrig als die Spiellizenz für die Bundesliga.

Der Vereinsname: eingestampft. Das Wappen: abgeschafft. Die Farben Violett-Weiß: ausgetauscht. Die Identität: dahin. Stattdessen spielt nun der FC Red Bull Salzburg, das Stadion heißt Red Bull Arena, auf den Wappen und Trikots prangen die charakteristischen Stiere. Für altgediente Fans ist die Übernahme eine Katastrophe – andere verweisen darauf, dass mit den Bullen der Wohlstand kam: Inzwischen verfügt der Verein jährlich über 45 Millionen Euro.

Zwar hatten sich viele Austria-Fans gegen die Übernahme ihres Vereins gestemmt – doch aller Protest war vergeblich: »Das ist ein neuer Club. Es gibt keine Tradition, keine Geschichte, kein Archiv«, ließ der Konzern kurzerhand verlauten. Selbst das Gründungsjahr gab der Verein anfangs mit 2005 an – erst als der österreichische Fußballverband mit dem Entzug der Bundesliga-Lizenz drohte, bekannte man sich wieder zur Vorgeschichte als Austria Salzburg. Das einzige Entgegenkommen Red Bulls an die Traditionsfans: Die Stutzen des Torhüters sowie die Kapitänsbinde könnten in den Austria-Farben Violett-Weiß gehalten werden.

Die Fans lehnten dankend ab – und gründeten die Austria stattdessen neu. Was in Salzburg in Extremform zu besichtigen ist, stellt einen grundsätzlichen Konflikt des modernen Fußballs dar: Wem gehört der Sport eigentlich, den Geldgebern oder den Fans? Wie weit kann ein Investor gehen, ohne dem Sport zu schaden – und damit auch dem eigenen Anliegen? Es geht um Tradition und Identität ebenso wie um Marketing und Image. Kurz: Es geht um die Seele des Fußballs. In diesem Konflikt stehen sich Geldgeber wie Red Bull und Fans wie Karl Atzmanstorfer gegenüber. Stark steigende Kosten für Gehälter, Ablösesummen, Fußballinternate: Wer erfolgreich sein will, muss viel Geld in die Hand nehmen. Und wer viel investiert, erwartet einen Gegenwert.

Aber auch die Fans investieren viel – Zeit, Geld, Herzblut –, und auch sie erwarten einen Gegenwert: Zusammenhalt und vor allem Identität. Wohnort, Arbeitgeber, selbst den Partner kann man wechseln – die Treue zum Verein bleibt bestehen, von Kindheit an. Unabhängig davon, in welcher Klasse der Verein spielt. Für Austria-Fan Karl Atzmanstorfer ist deshalb auch die Auswärtsbegegnung in Henndorf Pflicht: »Jedes Spiel ist ein sozialpolitisches Statement gegen diese Mentalität: Geld beherrscht alles.« Er glaubt an Tradition, nicht an Kommerz – vergilbter Ruhm ist ihm wichtiger als gekaufter Erfolg.

Von letzterem gibt es im Salzburger Fußball heute reichlich: In der neugebauten hochmodernen Arena empfing Red Bull unter anderem Lazio Rom oder Villareal im Europapokal – und schickte sie mit Niederlagen nach Hause. Die Bundesliga hat man ohnehin ordentlich aufgemischt: Drei Meistertitel in fünf Jahren sprechen eine deutliche Sprache.

Zum Bundesliga-Heimspiel gegen den Linzer ASK sind 11.000 Zuschauer gekommen. Unter ihnen auch der 27-jährige Sozialarbeiter Thomas Herzog, bereits seit 15 Jahren Fan des Salzburger Fußballs. Auch er war einst ein Violetter, heute feuert er die Bullen an: »Wenn man in die Arena geht, erlebt man jedes Mal ein Spektakel, deshalb bin ich hier.« Dieses spielt sich vielleicht nicht auf den Rängen, aber gewiss in und um das Stadion ab. Entertainment wird bei Red Bull großgeschrieben: Es beginnt mit Live-Konzerten vor dem Spiel, geht über Halbzeit-Blödeleien zur Belustigung der Zuschauer und endet mit aufwendigen Lightshows.

Herzog steht für die Mehrheit der Fußballinteressierten: durchaus auch Fans, aber keine Puristen vom Schlage Atzmanstorfers. Anhänger, die Spektakel und Show, aber auch schönes Spiel und hochklassige Gegner zu schätzen wissen. Für Red Bull ist vor allem diese Mehrheit wichtig, ihre Sympathien darf der Konzern auf keinen Fall verlieren. Denn Red Bull, bislang beliebt bei Extremsportlern und Feierjugend, drängt in die Mitte der Gesellschaft. »Red Bull ist globaler geworden und auch erwachsener. Da kommt man marketingstrategisch an einer Sportart wie Fußball als wichtigster der Welt nicht vorbei«, sagt Firmenpatriarch Dieter Mateschitz.

Diese Strategie ist nicht ungefährlich. Denn auch gemäßigten Fans sind Tradition und Authentizität wichtig, die Stimmung in der Fankurve, die Identifikation der Spieler mit dem Club. Investoren wissen das und nehmen in der Regel Rücksicht: Egal ob Ölmagnaten, Gaskonzerne oder Unternehmenserben bei Chelsea London, Schalke 04 oder Inter Mailand – Marke und Historie hat noch kein Geldgeber angetastet, selten wird ins Tagesgeschäft eingegriffen.

Anders der Brausehersteller. Ein Firmenprinzip lautet: Wo Red Bull sich engagiert, muss Red Bull auch das Sagen haben. »Anstatt auf der Brust eines anderen Vereins zu erscheinen, handeln wir eigenverantwortlich und unabhängig. Das ist einer der Red-Bull-Grundsätze«, erklärte kürzlich Sportchef Dietmar Beiersdorfer. Der FC Red Bull Salzburg hat daher nichts von einem gewöhnlichen Verein. Es gibt kein Club-Museum, keine Jahrhundertelf, keine Ultra-Gruppierungen. Dafür gibt es einen Block für Familien, die nach Vereinsauskunft die Zuschauergruppe der Zukunft sei.

»Viel Geld, keine Fans«, lautet daher oft die Umschreibung der Vereinsstruktur. Das ist auch beim Heimspiel gegen den Linzer ASK bemerkbar. Die mitgereisten Fans aus der oberösterreichischen Industriestadt bringen bereits lange vor Spielbeginn ihren Sektor zum Kochen und verhöhnen die Salzburger lautstark als »Dosentruppe«. Von den Red-Bull-Rängen kommt keine Antwort, erst beim Einlauf der Mannschaft brandet etwas verhaltener Jubel auf. »Es gibt mit Sicherheit bessere Fanszenen in Österreich«, gibt Red-Bull-Fan Thomas Herzog zu. »Das kann sich aber noch entwickeln. Wenn nur das andauernde Anstacheln der gegnerischen Vereine endlich aufhören würde«, so der sichtlich genervte Salzburger.

Nach 70 Minuten steht es drei zu null für die Heimmannschaft. Der Antreiber mit Megaphon in der ersten Reihe hat trotzdem große Mühe, seine Fankurve zum Mitmachen zu animieren. »Was ist, leiden wir an Altersschwäche?«, schreit er mit voller Lautstärke in die Menge. »Jetzt sind es vielleicht noch 400 Fans, die für Stimmung auf den Rängen sorgen«, gibt ein szenekundiger Polizist Auskunft. »Die Fans von Red Bull sind pflegeleicht und unorganisiert.« Auch an diesem Sonntag kann sich der Beamte über einen ruhigen Dienst freuen – aus alten Austria-Zeiten ist der 49-Jährige ganz anderes gewöhnt. Thomas Herzog ist ebenfalls zufrieden: Bereits vor Abpfiff verlässt er gutgelaunt das Stadion.

Doch bei vielen wirkt die Kombination aus Sauber-Image und übervollem Konto wie ein rotes Tuch. Das stellt auch Rudi Renger, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Salzburg, fest: »Red Bulls Übernahme in Salzburg war für mich ein strategisch kaum nachvollziehbarer Schritt: Gegnerische Fußballfans aus ganz Österreich lehnen den Club – und damit die Marke – kategorisch ab.« Bislang hat all das kaum geschadet:

Obwohl die Fußballliga des Alpenlandes in großen Teilen Europas als Operettenliga verspottet wird, in der sich alternde Stars noch ein paar Euro vor dem Karriereende verdienen können, steigen die Zuschauerzahlen seit ein paar Jahren kontinuierlich. Dennoch: Red Bull musste erkennen, dass die österreichische Liga zu schwach ist, um international mithalten zu können. Konzerngründer Mateschitz selbst verkündete jüngst, in Salzburg solle künftig eine Art U-21-Jugend um die Meisterschaft mitspielen.

Dabei war Österreich in Sachen kreativer Gelderwerb stets Vorreiter. 1986 nannte sich Wacker Innsbruck in »FC Swarovski Tirol« um und war damit um mehrere Hunderttausende Schilling sowie einige Spötter wie Neider reicher. Und bereits 1978 verzichtete die Austria selbst auf das »Austria« im Namen und hieß seitdem »SV Casino Salzburg«. Heute spielen Clubs mit Sponsorennamen wie »Josko Fenster Ried« in der »tipp3-Bundesliga powered by T-Mobile«. In den Achtzigern kam jemand auf die Idee, nicht nur den Platz auf der Brust als Werbefläche zu verwenden, sondern auch die Hose, den Rücken und die Stutzen mit Logos zu bestücken. Seitdem laufen die Spieler der Profivereine wie Litfasssäulen über den Platz.

Um in die europäische Spitze vorzustoßen, wurde außerdem ein Red-Bull-Ableger in Deutschland gegründet: In Leipzig gibt es zwar ein schmuckes WM-Stadion, aber weit und breit keine Profimannschaft, die dort ihre Spiele austragen könnte. Leipzig gilt als fußballerisches Entwicklungsland mit großem Fanpotential: Ein ideales Terrain für Red Bull.

Nachdem sich beide Leipziger Traditionsvereine, Lokomotive und Sachsen Leipzig, lautstark gegen eine Übernahme durch den Getränkekonzern gewehrt hatten, erwarb Red Bull 2009 die Lizenz des angeschlagenen SSV Markranstädt, der bis dahin seine Spiele in der Oberliga Nordost Süd gegen Gegner wie den ZFC Meuselwitz oder Germania Halberstadt austrug. RB Leipzig heißt der neue Verein, wobei das »RB« offiziell für »RasenBallsport« steht – eine Namensgebung zu Werbezwecken ist nämlich untersagt.

In spätestens zehn Jahren sollen die Ballsportler in der Bundesliga sowie im Europapokal auflaufen und zum Aushängeschild des Konzerns werden. Bis zu 100 Millionen Euro investiert der Getränke-Multi daher in das Abenteuer Sachsenfußball. Praktisch, dass es in Leipzig bereits ein bundesligataugliches Stadion gibt – seit Juli 2010 heißt es Red Bull Arena.

Die Strategie ist offensichtlich: Ein weltumspannender Verbund soll entstehen. In den letzten Jahren wurden eigene Fußballakademien in Ghana und São Paulo gegründet. Dort werden Talente bereits von Kindheit an ausgebildet, kommen dann in die junge Salzburger Mannschaft, um eventuell beim Top-Club RB Leipzig zu landen. Altgediente Stars wie Thierry Henry werden dagegen – den Vorlieben der amerikanischen Fußballfans folgend – zu den New York Red Bulls gelockt. Eine im Fußball beispiellose Verwertungskette, die zu Titeln, Erfolg und Ruhm für die Marke Red Bull führen soll.

Rein sportlich läuft es auch für die Violett-Weißen der Austria Salzburg durchaus gut. Nach vier Spielzeiten ist der neu gegründete Traditionsverein bereits viermal aufgestiegen, bis in die dritthöchste Klasse. Neue Sponsoren und alte Recken haben sich gefunden, um dem Mythos Austria wieder zum Erfolg von einst zu verhelfen. Zumindest der Aufstieg in die zweite Liga soll noch geschafft werden. Vielleicht klappt sogar der Sprung nach ganz oben, in die Bundesliga. Dann wird Karl Atzmanstorfers Traum Wirklichkeit: »Eines Tages wird es zum ersten Salzburger Derby kommen. Meine Austria gegen die Dosentruppe. Dann geht es nicht nur um Fußball, sondern um nichts Geringeres als einen Kampf zwischen Gut gegen Böse.«

Von Bullen und Sportlern

Red Bull verkauft jährlich rund 4 Milliarden Dosen in über 160 Ländern und erzielt etwa 3,3 Milliarden Euro Umsatz. Seit zwei Jahren stagnieren Absatz und Umsatz, der Gewinn fiel von 234 Millionen (2007) auf 123 Millionen Euro. Für das Marketing gibt der Konzern etwa 1 Milliarde Euro aus, davon fließen 600 Millionen in den Sport. Anfangs konzentrierte sich Red Bull passend zum Markenimage auf Trend- und Extremsportarten wie Klippenspringen, Kunstfliegen, Freeclimbing oder Kite-Surfen. Seit einigen Jahren investiert man stark in die Breitensportarten Fußball und Formel 1.

Pen_8x8    Autor: Daniel Hribar und Jon Mendrala
Image_8x8    Bild: pixathlon Agentur für Sportfotografie
Link_8x8    Quelle: Erschienen in: INJEKTION. Campusmagazin 6/2010, Nachdruck mit Genehmigung der Autoren


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