71. Minute

Mit einem kunstvollen Heber aus 30 Metern über Peruzzi erzielt Lars Ricken nur 16 Sekunden nach seiner Einwechslung mit seinem ersten Ballkontakt das spielentscheidende 3:1 gegen Juventus. Mit nur 21 Jahren ist Ricken auf dem Höhepunkt seiner Karriere, er ist der Cowboy der Bundesliga. — Von Hajo Schumacher

Und das bekannteste unter den ewigen deutschen Talenten dieser Zeit. In einem millionenschweren Nike-Werbespot geht er seinem Gewerbe ans Leder: »Ich sehe VIP-Logen, wo früher Stehplätze waren, Spieler, die mehr mit den Medien reden als mit dem Coach. Ich sehe Vereine, die teure Stars kaufen, statt Nachwuchs zu fördern.« Abgesehen davon, dass das Filmchen ziemlich genau die Lage bei seinem Klub Borussia Dortmund beschreibt, bekommt Ricken der frühe Ruhm schlecht. Sein Tor gegen Turin ist ein Versprechen auf eine einzigartige Karriere, doch es bleibt Rickens einziger magischer Moment. Nach der Weltmeisterschaft 2002 tritt er aus der Nationalelf zurück, nachdem er keine einzige Minute im Turnier gespielt hatte.

Auch die andere große Sturmhoffnung der 90er Jahre fällt tief. Der Südafrikaner Sean Dundee schießt für Karlsruhe in 61 Spielen 33 Tore, der Boulevard liebt »Crocodile Dundee«, Bundestrainer Vogts lobt und lockt, aufgrund eines »herausragenden nationalen Interesses« wird Dundee im beschleunigten Verfahren eingebürgert. Kaum aber ist Dundee Deutscher, verliert er auf rätselhafte Weise seine Form, seiner Schüsse landen in der Kurve, und nicht nur in seinen Dribblings fehlt dem Stürmer plötzlich die Orientierung. »Ich bleibe auf jeden Fall wahrscheinlich beim KSC«, erklärt Dundee. Auf jeden Fall bringt ihn der neue deutsche Pass erst einmal zum Wehrdienst ins Abwehrbataillon nach Bruchsal. Die WM 1998 in Frankreich bleibt ein Traum.

Auf immerhin einen Einsatz in der Nationalelf kommt das Supertalent Marco Reich 1999 im Spiel gegen Kolumbien. Ein Jahr vorher ist der Kaiserslauterner mit nur 18 Jahren Deutscher Meister geworden. Reich fliegt alles zu, er muss sein Glück nur aufheben und vergisst sich zu bücken. Genügsam erklärt der Pfälzer: »Ich will ein bisschen Fußball spielen. Mehr verlange ich nicht vom Leben.« Während Reich immer antriebsloser durchs Kaiserslauterner Mittelfeld steuert, sitzt auf der Bank der zwei Jahre ältere Michael Ballack. Der hält Ehrgeiz für sein größtes Talent und spielt demnächst wahrscheinlich bei Real Madrid. Reich kickt heute für den englischen Zweitligisten Crystal Palace. An sein einziges Länderspiel kann er sich kaum noch erinnern.

Ob das Franco Foda nach seiner Karriere auch so gegangen ist? Brasilia, 12.Dezember 1987, Freundschaftsspiel Brasilien gegen Deutschland. In der 82. Minute kommt der Verteidiger zum ersten seiner insgesamt zwei Kurzeinsätze im Nationalteam. An sich nichts besonderes – wenn nicht das halbe Stadion nach der Vorstellung von Foda minutenlang gewiehert hätte. Franco Foda, das heißt auf portugiesisch soviel wie: Ficken umsonst.

Auf sein einziges Spiel im Nationaltrikot hätte dagegen der Verteidiger Zoltan Sebescen sicherlich gerne verzichtet. Zweimal kommt er 2000 in der Amsterdam-Arena gegen den Niederländer Zenden zu spät, zwei Gegentore bedeuten zur Pause die Auswechslung. Zwei Jahre später spielt Sebescen mit Leverkusen die Saison seines Lebens. »Uns kann eigentlich keiner mehr schlagen. Außer wir uns selbst. Daran arbeiten wir«, prophezeit Sebescen und behält Recht. Leverkusen wird nicht Meister, versemmelt den Pokal und verliert auch noch das Champions-League-Finale gegen Real Madrid. Seither heißt in England Leverkusen nur Neverkusen.

Pen_8x8    Autor: Hajo Schumacher
Image_8x8    Bild: pixathlon Agentur für Sportfotografie
Link_8x8    Quelle: DUMMY Magazin


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