Narben sind sexy
Ein Stadiondenkmal. Eines dieser »Altehrwürdigen«. Rund. Stehplatzkurven. Zwei Tribünen. Sonst offen. Flutlichtmasten. Rotasche-Tartanbahn. Erste elektronische Anzeigetafel seit 2010, die zuvor in einem Werk von ThyssenKrupp hing. Keine Arena. Nein, das ganz sicher nicht. — Von Heiko Rothenpieler
1963 begrüßte das Preußenstadion als Mitbegründer der 1. Bundesliga am ersten Spieltag den Hamburger SV. Vor 30.000 Zuschauern schoss Falk Dörr das 1:0. Charly Dörfel glich kurz vor Schluss aus. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Preußenstadion schon satte 37 Jahre auf dem Buckel.
Kurz vor der Fertigstellung des modernen 40.000 Zuschauer fassenden Westfalen-Tempels wurde von dort aus die erste Liveübertragung eines Fußballspiels im deutschen Rundfunk übertragen. Gegner: natürlich Erzfeind Arminia Bielefeld.
Gegen Boyens, Dörfel und die Seeler-Brüder begann die erste und letzte Bundesliga-Saison der Vereinsgeschichte. Das Preußenstadion an der Hammer Straße steht wie kaum ein anderes Stadion Deutschlands als Synonym für Auf- und Abstiege, für Risse im Fundament, für Sanierungen im Gebälk und Etagen übergreifende Neubauten.
2000 scheiterte das Modell »Preußen-Park« und bei einer Sanierung 2009 wurden Arbeiter verletzt, als Teile der Dachkonstruktion des Rohbaus der neuen Haupttribüne zusammenbrachen. Zwei Jahre später folgte der sportliche Aufstieg in die 3. Liga. Preußen Münster und sein Preußenstadion sind trotz sichtbarer Narben immer noch ein Herz und eine Seele. Nun winkt die 2. Bundesliga.
Die Renaissance des Fahrradständers
8 Euro ermäßigter Eintritt. Für fast 50.000 Studenten ein machbarer Stadiongang. Nähert man sich dem Preußenstadion, nähert man sich gleichzeitig Linienbussen, Fußgängern und natürlich – Fahrradfahrern. Demographische Studien an hundert Personen festzumachen reicht hier nicht aus. Selten ein derart gemischtes Publikum vernommen.
Vor den Eingängen erwarten den Zuschauer grün-weiß angestrichene Ziegelbauten mit nostalgischen Schießscharten, aus denen man eine Stadionzeitung (nicht Heft) und »ne Katte« bekommt. Ein freundlicher Ordner und zwei Ausschänke weiter erklimmt man eine kleine Anhöhe wie im früheren Gelsenkirchener Parkstadion.
Mit einer Kamera auf der Stirn wären jene letzten Meter ins Stadion ein ästhetisches Mittel zum Aufbau von Spannung. Plötzlich ist man wieder zehn Jahre alt und läuft schon einmal vor. Natürlich ruft der Papa vergebens. Das alles natürlich im Dickicht aus Bratwurstnebel und Uringeruch. Keine Arenen-Karten. Keine menschlichen Aufladestationen. Bratwurst 2,30 Euro. Ende der Durchsage.
1zu1-Betreuung und viel Verwirrung
800 angekündigte Hallenser reichen für die Behörden aus, um das Match als »Sicherheitsspiel« zu deklarieren. So entpuppt sich ein völlig überzogenes Polizeiaufgebot als sozialpädagogische 1zu1-Betreuung. Sicher ein gern erprobter populistischer Akt um beim Kehraus der Saison über »deutliche Zunahmen an Einsatzkräften« zu schwadronieren.
Zu noch mehr optischer und akustischer Täuschung führen gleich zwei preußische Ultragruppen, die sich in der Heimkurve auf einen offensichtlich nötigen Sicherheitsabstand gegenüber positionierten. Und da die Stehplatztribüne der Gegengerade ebenfalls eigene Lieder anstimmt, fühlt man sich als neutraler Stadiongänger schnell wie bei den Marktschreiern.
Am Ende wird als unverrückbares Fazit stehen: Auditive Koalitionen führen zu mehr Lautstärke, zu mehr Stimmung, zu mehr »12. Mann«, zu mehr Erfolg, zu mehr Heimspiel. »Mitwollende gibt’s wenig, Misswollende viel«, wusste schon Goethe. Fragt sich nur: Hilft das dem eigenen Verein auf Dauer?
Mehmet Kara, Fußballgott!
»Wer ist denn der 16er bei Halle? Das issen Guter!.« Der Aufsteiger aus Halle macht seinem Ruf als »unbequemer« Gegner von Beginn an alle Ehre. Vom 39-jährigen Keeper Darko Horvat bis zum 21-jährigen Erich Sautner ist alles vertreten. »Unbequem« mutiert da schnell mal zur echten »Wundertüte«. So ist es nicht verwunderlich, dass Sieg-Niederlage-Remis-Bilanzen erscheinen wie Aktienwerte nach einem Börsencrash.
Der »16er« ist der 21-jährige Dennis Mast. Wirklich gefährliche Aktionen kommen nur über die linke Hallescher Seite. »Zu wenig!« hört man das imaginäre Sprachrohr nach Ablauf der Anfangsphase sagen. So wird der starke Bischoff im Strafraum gefoult – und Kara trifft in der 19. Minute. Auch wenn Halle dem guten, alten »sich wehren« nacheifert, können kaum klare Torchancen herausgespielt werden, auch wenn bis zur Halbzeitpause ein Treffer nicht völlig unverdient wäre.
Die zweite Hälfte läuft wie erwartet. Der Tabellendritte aus Münster trägt seine Angriffe kontrollierter vor. Grote, Kirsch und Kara überzeugen. Den Doppelpack schnürt Kara in der 51. Minute nach Vorarbeit von Grote und guter Einzelleistung.
Es wäre nicht gerecht, von einem »Arbeitssieg« zu sprechen. Zwei engagierte Mannschaften bieten den 7000 Zuschauern ein unterhaltsames und temporeiches Spiel.
Fazit: Die Leistung der Preußen war solide. Um jedoch weiterhin die Aufstiegsränge anzuvisieren, müssen bei den bald folgenden Krachern gegen Osnabrück (Heimspiel) und Bielefeld (Auswärtsspiel) einige Gänge hoch geschaltet werden.
Für Halle heißt es weiterhin: Ob Niederlage oder Sieg, das Remis kommt bestimmt. Für ernsthafte Abstiegssorgen funktioniert das Kollektiv der Truppe um Coach Köhler zu stimmig.
Bratwurst: 7,5 von 10, 2,30 Euro – wird leider gestapelt, daher nicht ganz heiß, Senf und Brötchen astrein
Bier: 8 von 10; 3 Euro, Warsteiner – perfekte Kühlung für Plastikbecher, zu wenig Krone
Stehplatzkarte: 8 Euro (ermäßigt), Block M
Tore: Kara (19.) FE, Kara (50.)
Autor:
Heiko Rothenpieler
Bild:
Heiko Rothenpieler