DDR-Supercup

Der BFC Dynamo Berlin, meistgehasster Verein der DDR, gewinnt den ersten und letzten DDR-Supercup gegen Dynamo Dresden. Dann fällt die Mauer. Und der BFC gleich mit. — Von Marcus Jauer

Es war ein Spiel, wie es danach keines wieder gegeben hat, aber Bodo Rudwaleit erinnert sich kaum daran. Er weiß noch, dass mindestens 20.000 Leute im Stadion zuschauten, die meisten waren gegen sie, aber das waren sie ja immer. Er weiß auch noch, dass er nicht viel zu tun hatte. Er stand im Tor, es gab eigentlich nur zwei gefährliche Situationen. Den einen Ball hat er gehalten, den anderen nicht, aber da war die Sache längst entschieden.

Der BFC Dynamo gewann 4:1 gegen Dynamo Dresden. Es war das Fußballfinale der DDR. Der Supercup, Pokalsieger gegen Meister. Er wurde das erste Mal ausgespielt, in Zukunft sollte es ihn am Ende jeder Saison geben. Aber diese Zukunft gab es nicht mehr. Es war der 5. August 1989. Drei Monate später fiel die Mauer, und danach hat der BFC nur noch verloren. Seinen Namen, seine Spieler, seine Klasse, sein Geld. Der Pokal vom Supercup ist auch nicht mehr da. »Is’ jetzt in privaten Händen«, sagt Bodo Rudwaleit, »wir hatten hier’n paar Einbrüche nach der Wende.«

Er ist ein großer Mann, dem man nicht ansieht, dass er bald 50 wird. Er sitzt in einem Zimmer, das mit Schreibtischen, Schränken und Sesseln vollgestellt ist. Draußen liegt Berlin-Hohenschönhausen, ein Plattenbaubezirk, an dessen Rand ein paar Sporthallen stehen, umgeben von ein paar Bolzplätzen. Es hat geschneit, der Boden ist gefroren, und es wird langsam dunkel, aber Bodo Rudwaleit muss raus auf den Platz. Er hat eine Mannschaft zu trainieren. Den BFC Dynamo. Vierte Liga. Am Wochenende spielen sie gegen den SV Yesilyurt.

»War’n schönes Ding damals«, sagt er.

Es gibt ein Foto nach dem Ende des Spiels. Darauf halten einige Spieler den Pokal nach oben, aber sie wirken nicht sehr stolz dabei. Er sieht aus wie ein langer Kaktus. Thomas Doll steht abseits und schaut ihnen zu. Andreas Thom klopft ihm auf die Schulter. Er lacht.

»Ja«, sagt Thomas Doll, »war’n richtig guter Tag.«

Er hat eine offene, fröhliche Stimme, aber auch er scheint sich kaum zu erinnern. Er kommt grade vom Training. Hinter den Fenstern seines Zimmers liegt Hamburg und ein riesiges Stadion. In ein paar Tagen werden sie im UEFA-Cup spielen. Vor 40.000 Leuten. Auch er hat eine Mannschaft zu betreuen. Den Hamburger SV. Erste Bundesliga.

»Hab’ ich da nich’ zwei eingebombt?«, fragt Doll.

Thomas Doll hat damals zwei Tore geschossen. Eins in der 62. Minute und einen Elfmeter in der 75. Es war eines seiner letzten Spiele für den BFC Dynamo. Kurz danach ging er für 3,6 Millionen Mark zum HSV. Andreas Thom ging für 3,6 Millionen Mark zu Bayer Leverkusen. Die Mannschaft zerbrach. Bodo Rudwaleit ging zu Stahl Eisenhüttenstadt. Ablösefrei. Der BFC blieb zurück. Und ging unter.

Im Januar 1966 war er gegründet worden. In der DDR gehörten fast alle Fußballmannschaften einem Betrieb. Lokomotive Leipzig, Energie Cottbus, Carl Zeiss Jena. Dynamo gehörte dem Innenministerium, es war die Sportabteilung für Polizei und Staatssicherheit, Erich Mielke war ihr Chef. Er hatte fast in jedem Bezirk eine Mannschaft, aber die Berliner mochte er am meisten. Er kam häufig zu den Spielen. An der Tribüne gab es extra eine Rampe für seine Limousine. Wenn er dort oben saß, wollte er seine Fußballer gewinnen sehen. Was er dafür tun konnte, das tat er auch. Es gab kaum einen Verein in der DDR, der derart verhasst war. Der BFC Dynamo, das schien die Stasi selbst zu sein.

Der BFC holte sich die besten Spieler aus den Regionen. Thomas Doll kam 1986 aus Rostock. Beim ersten Spiel gegen seine alte Mannschaft schrien die Zuschauer: »Doll, du Schwein!« 20 Minuten lang. Dann hat er ihnen in der 21. eins eingebombt, unten links, da war Ruhe. Wenn er später beim HSV oder bei Lazio Rom in Schwierigkeiten kam, hat er nur an diesen Moment denken müssen, und es war gut.

Der BFC holte sich auch die besten Schiedsrichter. Sieben von zehn der Männer, die am häufigsten Spiele der Mannschaft pfiffen, arbeiteten heimlich für die Staatssicherheit. Als einer von ihnen 1985 ein Gegentor von Wismut Aue nicht gab, weil es angeblich Abseits war, lag er damit so offensichtlich falsch, dass es später im Fernsehen nicht gezeigt werden konnte. Als einer von ihnen ein Jahr später gegen Lok Leipzig so lange spielen ließ, bis endlich jemand vom BFC im Strafraum umfiel und er Elfmeter geben konnte, diskutierte sogar das Politbüro darüber. Erich Mielke wurde gefragt, ob so etwas wirklich sein müsse. »Soll ich mal sagen, wie viele Personen aus dem Bezirk Leipzig die DDR schon verraten haben?«, fragte er.

Zehn Mal wurde der BFC Dynamo Meister. Zehn Mal in Folge. Von 1979 bis 1988. Der Supercup war der letzte große Titel, den die Mannschaft geholt hat.

Vor dem Spiel hatte es auf dem Bahnhof Schlägereien zwischen Fans gegeben. Zuerst waren die Berliner in Überzahl und schlugen die Dresdner. Dann kamen mehr Dresdner und schlugen die Berliner, bis wieder ein Zug aus Berlin einfuhr und die Dresdner in Unterzahl waren. „Was für ein Anblick! Eine Massenhetzjagd sondergleichen“, schreibt Mirko für die Kategorie »History« auf der Fanpage. Vom Spiel schreibt er nicht viel. Der BFC war überlegen. Selbst Rainer Ernst, »Stolper-Ernst«, läuft kurz vor Ende durch die gesamte Dresdner Abwehr und schiebt zum 4:0 ein. Da sei im Block des BFC nur noch laut gelacht worden, schreibt Mirko. »Alles in allem ein erfolgreicher Fußballtag.«

Als drei Monate später die Mauer fällt, stehen die ersten Spielervermittler schon in Ostberlin an der Rasenkante. Mit Koffern voller Geld. Der Verein verkauft in den ersten anderthalb Jahren 23 Spieler, er nimmt elf Millionen Mark ein und glaubt, dass er damit neu anfangen kann. Die DDR löst sich auf. Er will jetzt kein »Stasi-Klub« mehr sein, nennt sich um in FC Berlin und trennt sich von seinem alten Trainer. Aber schafft es nicht in die zweite Liga, er hält sich auch nicht in der Dritten. Die Zuschauer bleiben weg, bis auf die, die vor allem kommen, um sich zu prügeln. Vor Spielen werden T-Shirts mit dem Aufdruck »Kategorie C« verkauft, die Polizeikategorie für »zur Gewalt entschlossen«. Die Fans des BFC sind gefürchtet, die Mannschaft ist es nicht. Es gibt kaum gute Spieler. Der Verein investiert nicht. Stattdessen kauft er Motorroller aus Kanada, um sie weiter zu verkaufen, aber die Roller sind in Europa nicht zugelassen, monatelang stehen sie in der Sporthalle herum. Als der Verein 2001 Insolvenz anmeldet, hat er 3,6 Millionen Schulden, muss in die fünfte Liga und droht auch dafür die Lizenz zu verlieren. Da kehrt Bodo Rudwaleit zurück. »Ich hab’ dem Verein meine schönste Zeit zu verdanken«, sagt er.

Er hatte fast 25 Jahre für den BFC gespielt. 313 Spiele. Er hat alle zehn Meistertitel gewonnen. Aber als er zurückkam, gab es keinen dieser Pokale mehr. Einen haben sie bei Ebay zurückersteigert. Es gab nichts mehr. Von der großen Geschäftsstelle im Sportforum Hohenschönhausen waren vier Zimmer geblieben. Von der Mannschaft vier Männer. Sie mussten eine Annonce in die Zeitung setzen, aber von den Leuten, die daraufhin kamen, konnten manche auch ohne Ball kaum geradeaus laufen. Bodo Rudwaleit und ein paar Freunde begannen mit dem Training, manchmal spielte er selbst noch mit. Er war Mitte 40 und hatte eigentlich ein Taxiunternehmen zu führen, aber gut.

So kamen sie langsam aus dem Keller. Im letzten Jahr fühlten sie sich dann stark genug, sich mit dem DFB anzulegen. Der erlaubt Vereinen, die zehn Mal Meister geworden sind, drei Sterne auf dem Trikot zu tragen. Das wollte der BFC auch. 1999 hatte er sich seinen alten Namen zurückgegeben. Nun griff er nach den Sternen. Als der DFB sie ihm verweigerte, hatte er sie schon auf Trikots drucken lassen, und da blieben sie auch.

»Die Vergangenheit kann man nicht ablegen«, sagt Bodo Rudwaleit, «Einmal BFCler, immer BFCler.

Vor ein paar Wochen hat er Thomas Doll in Hamburg angerufen. Es ging um ein Freundschaftsspiel, so unter BFClern. Rudwaleit hätte die Zuschauer gebrauchen können. Aber sie haben seit Jahren kein Wort miteinander geredet, und Doll war zurückhaltend. Irgendwie wollte er nicht.

»Wir haben noch so viele Nachholspiele«, sagte Thomas Doll. Auf einmal fällt ihm noch etwas zum Supercup ein. Ronny Teuber sitzt ihm gegenüber. Er trainiert doe Torleute vom HSV, damals stand er bei Dresden im Kasten.

»Hab’ ich dir nich’ zwei eingebombt, Ronny«, fragt Doll. „nee“, sagt Teuber. »Doch«, sagt Doll, »Dir hab’ ich zwei eingebombt.« »Aber wir waren Meister«, sagt Teuber. »Ja, Ronny«, sagt Doll, »das interessiert jetzt aber nicht.«

Pen_8x8    Autor: Marcus Jauer
Image_8x8    Bild: Deutsches Bundesarchiv, Bild 183-1989-0805-025
Link_8x8    Quelle: DUMMY Magazin


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